Die Gesprächsrunde fand am 23. Februar 2021 statt und wurde fachlich begleitet durch Prof. Dr. Jochen Rößler.

Sirolimus (Impulsvortrag)

Was ist Sirolimus?

  • Sirolimus ist ein Immunsuppressivum, das nach Transplantationen verordnet wird.
  • Es ist schon viele Jahre auf dem Markt.
  • Sirolimus ist ein Produkt des Streptomyzeten Streptomyces hygroscopicus, einer Bakterienart, die erstmals aus dem Boden der Osterinsel Rapa Nui isoliert wurde.
  • Sirolimus ist ein mTOR-Inhibitor und greift in den mTOR Signalweg ein.

Zur Therapie mit Sirolimus:
Die Dosierung wird bezogen auf die Körperoberfläche. In der Regel wird eine Dosierung von 2 x täglich 0,8 mg/m2 Körperoberfläche verwendet. Aus Compliancegründen geben einige Zentren eine 1x tägliche Dosierung an. Bei Kindern sollte Sirolimus aber unbedingt zweimal täglich gegeben werden.
Ziel ist ein Blutspiegel von 5 -10 ng/ml als „Talspiegel", d.h. vor der nächsten Einnahme. Ein höherer Talspiegel ist nicht notwendig und wird aktuell nicht mehr empfohlen (Einzelfallentscheidung), da die Häufigkeit von Nebenwirkungen mit ansteigendem Sirolimus-Talspiegel zunehmen kann.
Eine Antibiotika-Prophylaxe, u.a. gegen bakterielle Infektionen, ist häufig sinnvoll: Cotrimoxazol 5 mg/ kg an 3 Tagen pro Woche. Es gibt Zentren, - die Cotrimoxazol nur zu Behandlungsbeginn geben, - die im Einzelfall je nach Patient entscheiden,  - die konsequent immer und - Zentren, die Cotrimoxazol selten verordnen.

Welche Patienten erhalten Sirolimus?
Eine Indikation für Sirolimus ist gegeben bei

  • Patienten mit einer komplizierten Lymphatischen Malformation
  • Patienten mit einer komplizierten Venösen Malformation
  • Patienten, die auf die Standardtherapie nicht ansprechen
  • Patienten mit Segmentalen Überwuchssyndromen.

Wie wirkt Sirolimus?
Als mTOR-Inhibitor blockiert Sirolimus bei Lymphatischen Malformation (LM) und bei Venösen Malformation (VM) die Signal-Übertragung in den Zellkern. Dadurch werden Abläufe zur Gefäßneubildung gestoppt.

Zum besseren Verständnis hier der stark vereinfachte Ablauf des üblichen Signalweges von Zellwachstum, Zellvermehrung, Angiogenese (Entstehung neuer Blutgefäße aus vorbestehenden Blutgefäßen): Ein Wachstumsfaktor bindet an einen Rezeptor auf der Zelloberfläche und gelangt so ins Zellinnere. Hier, im Zellplasma, erfolgt die Signalübertragung über verschiedene Moleküle bis zum Molekül mTOR, einem Protein am Ende des Signalweges. mTOR aktiviert Moleküle, die das Signal in den Zellkern leiten und dadurch die Umsetzung der Signale (Translation) bewirken.

Wie sieht dieser Weg bei einer LM oder VM aus?
LM und VM können somatische Mutationen aufweisen. Diese Genveränderungen kommen nur in den fehlgebildeten Lymphatischen oder Venösen Endothelzellen vor und nirgendwo anders im Körper und sind daher nicht vererbbar - im Gegensatz zu den Keimbahnmutationen. Die Mutationen bei LM und VM sind aktivierende Mutation (keine Verlustmutation).

Bei Zellen einer LM ist der Rezeptor VEGFR-3 auf der Zelloberfläche zu finden, welcher mit dem Wachstumsfaktor VEGF-C interagiert. Bei den LM kann eine Mutation im PI3KCA Molekül vorliegen. Dadurch ist PI3KCA ständig aktiviert, OHNE dass ein Wachstumsfaktor an den Rezeptor der Zelloberfläche gebunden hat und es kommt ständig zur Angiogenese und weiteren zellulären Prozessen

Bei Zellen einer VM findet man den Rezeptor TIE-2 an der Oberfläche. An diesen bindet der Wachstumsfaktor Angiopoietin . Bei den VM kann eine Mutation im Rezeptormolekül TIE 2 vorliegen. Auch hier wird der Signalweg OHNE Bindung eines Wachstumsfaktors ständig aktiviert und dadurch zum Beispiel ständig Angiogenese ausgelöst.

Biopsien sind sinnvoll um die zugrunde liegende Mutation zu bestimmen. Das geht nicht über Blutproben, sondern nur direkt durch Untersuchung von erkranktem Gewebe. Durch Biopsien wird versucht, die zugrundeliegenden Mutationen genau zu bestimmen, um nach einer zielgerichtet medikamentösen Therapie, zu suchen.
Eine somatische PI3KCA Mutation kann auch bei Patienten mit Segmentalem Überwuchssyndrom gefunden werden.

Es wird an verschiedenen Medikamenten geforscht, die jeweils an anderen Stellen des Signalweges eingreifen und gezielter wirken.

Was sind häufige Nebenwirkungen von Sirolimus?
Nebenwirkungen von Sirolimus sind Erfahrungswerte und individuell. Gehäuft beobachtet werden:

  • Immunsuppression,
  • Aphten,
  • erhöhte Blutfettwerte (Cholesterin und Triglyzeride),
  • Schmerzen,
  • Magen-Darmprobleme,
  • Übelkeit,
  • Wassereinlagerung,
  • weitere Nebenwirkungen.

Beispiele aus der Klinik

  • Ein Kind mit LM am Hals. Sklerosierung und chirurgische Entfernung von Teilen der LM blieben beide erfolglos und der Lymphabfluss blieb gestört. Unter Sirolimus kam es zu einer Rückbildung der Malformation und zur Wiederherstellung des Abflusses der Lymphflüssigkeit.
  • Ein Säugling mit Gefäßfehlbildung hinter dem Auge, wodurch das Auge nicht zu öffnen war. Einsatz von Sirolimus über zwei Jahre, da eine Operation oder Sklerosierung als zu gefährlich eingeschätzt wurde. Das Auge konnte wieder vollständig geöffnet werden.

Wie lange muss Sirolimus eingenommen werden?

Das ist von Patient zu Patient unterschiedlich. Einige konnten es nach einer Zeit ganz absetzen und es blieb bei einem dauerhaften Stillstand der Symptome. Andere müssen es wahrscheinlich lebenslang einnehmen. Wieder andere pausieren zwischendurch, wobei Prof. Rößler eine erneute Wirksamkeit nach einer Pausierung beobachtet hat.

Es gibt auch Patienten, die gar nicht auf Sirolimus ansprechen. Für diese Patienten kommt eventuell Everolimus, ein anderer mTOR-Inhibitor, in Frage. Hier gibt es aber auch erst Erfahrungen mit 5-6 Patienten.

Kann Sirolimus während der Schwangerschaft eingenommen werden?

Unter Sirolimus Einnahme sollte es zu keiner Schwangerschaft kommen, da es zu Fehlbildungen beim Ungeborenen führen kann. Dabei ist es egal, ob die Mutter oder der Vater Sirolimus einnehmen.

Bei Männern kommt es unter Sirolimus-Einnahme zu einer vorübergehenden Fertilitätsabnahme.

Wird beim Ungeborenen eine ausgedehnte Gefäßfehlbildung entdeckt, sollte das Kind möglichst lange unter Beobachtung in der Gebärmutter belassen werden und dann möglichst per Kaiserschnitt geholt und sofort versorgt werden.

Es gibt einen unveröffentlichten (!) Fall aus Brüssel, wo bei der Einnahme von Sirolimus durch die Mutter die Fehlbildung des Ungeborenen kleiner wurde.

Ist Sirolimus auch für leichtere Venöse oder Lymphatische Malformationen eine Option?

Aufgrund der Nebenwirkungen sollte man gemeinsam mit seinem Arzt die Therapieziele formulieren:

  • Was will ich erreichen?
  • Stehen für mich Schmerzen, Funktionsverlust oder Lebensqualität im Vordergrund?
  • Steht das in Relation zu den Nebenwirkungen?
  • Kann ich diese Ziele durch Standardtherapien erreichen?
  • Was habe ich davon, wenn es meinem (zB) Bein besser geht, ich aber Wassereinlagerungen, Übelkeit und einen kaputten Mund habe?
und daraufhin eine gemeinsame Abwägung vornehmen.

Wie hoch ist die Ansprechrate von Sirolimus?

Es gibt keine Heilung durch Sirolimus.

Je nachdem, wie man den Erfolg messen möchte oder kann (Lebensqualität, Schmerzfreiheit, wieder Laufen können...), wird die Ansprechrate von den meisten Ärzten nach einem Jahr mit 80% angegeben.

Die Datenlage zu Sirolimus ist einfach zu gering für genauere Aussagen.

Wie viele Patienten in Deutschland und Europa wurden bislang mit Sirolimus behandelt?

Da es keine Register dazu gibt, liegen keine verlässlichen Daten vor. Im Freiburger Zentrum wurde Sirolimus bisher bei ca. 80 Patienten eingesetzt.

Ist Sirolimus geeignet für Patienten mit einem PI3KCA bezogenen Überwuchssyndrom (PROS)?

Für diese Patienten ist wahrscheinlich Alpesilib geeigneter, ein Medikament, das direkt das PI3KCA Molekül hemmt.

Es gibt demnächst eine interantionale Studie zum PIK3CA-Related Overgrowth Spectrum (PROS). Dr. Kapp, Freiburg, koordiniert das in Deutschland, der Bundesverband Angeborene Gefäßfehlbildungen und HEVAS (in den Niederlanden) sind auch beteiligt. Auch Schweizer Kliniken (Bern und Zürich) werden an der Studie mitmachen.

Ist Sirolimus bei Erwachsenen mit einem Klippel-Trenaunay-Syndrom noch sinnvoll?

Bei einer Gefäßfehlbildung wachsen die Gefäße nicht im Sinne von zunehmender Zellanzahl, sondern die Fehlbildung wächst proportional mit dem Körperwachstum. Die Flussverhältnisse mit zunehmendem Alter lassen die Gefäße größer werden. Das kann dann zu funktionalen Problemen, Schmerzen, Infektionen führen. Die Nebenwirkungen sollten in die Entscheidungen einbezogen werden.

Kann Sirolimus vor einer Operation mit Wachstumsfugenverschließung bewahren?

Auch dazu gibt es zu wenig Erfahrung. Wenn Sirolimus früh genug eingenommen wird, könnte das möglich sein.

Was ist bei Impfungen und Sirolimus zu beachten?

Generell wird Sirolimus mit komplettem Impfstatus empfohlen und ist meistens so auch planbar. In schweren Fällen werden aber auch Neugeborene, Säuglinge und Kleinkinder mit Sirolimus behandelt. Eine individuelle Beratung ist notwendig.

Gehören Lungenembolien zu den häufigen Nebenwirkungen von Sirolimus?

Im Bundesverband Angeborene Gefäßfehlbildungen ist es bei zwei Jugendlichen (Art der Gefäßfehlbildung ist nicht bekannt) zu einer Lungenembolie gekommen. Prof. Rößler hat das in seiner Erfahrung nicht beobachtet. Es wäre zu klären, ob das Risiko in der Natur der Gefäßfehlbildung liegt oder durch Sirolimus verursacht war.

Der Mitglieder-Austausch im Bundesverband Angeborene Gefäßfehlbildungen e.V. ist keine medizinische und/oder rechtliche Beratung und spiegelt ausschließlich den individuellen Gesprächsstand der Beteiligten wider. Im Verlauf geäußerte und hier wiedergegebene Ratschläge und Tipps sind jeweils nur als Einzelmeinungen zu betrachten.

Bundesverband Angeborene Gefäßfehlbildungen e.V.
Blötter Weg 85
45478
Mülheim an der Ruhr
Tel:+49-208-3099399-0

Datenschutz

Spendenkonto:
Volksbank Rhein Ruhr

BIC: GENODED1VRR
IBAN: DE72 3506 0386 8708 8400 01

weitere Spendenmöglichkeiten