Als „Daniel“ geboren wurde, fiel an seinem Bein eine bläuliche Verfärbung auf. Diese wurde von Ärzten zunächst als bedeutungslos eingeschätzt. Doch dann kamen für das Kind die Probleme mit dem Fuß. Im Gegensatz zu anderen Kindern seines Alters fiel ihm das Laufen lernen schwer. Und nach längeren Autofahrten schmerzte sein Knie. Die Mutter ging mit dem Jungen zum Arzt. Und zu einem anderen. Und zum nächsten. Und so weiter. Die Verfärbungen am Bein wurden als Fehlbildungen der Venen diagnostiziert, doch die Kniebeschwerden blieben. „Das ist Rheuma“, wurde die Mutter schließlich informiert.

Daniel kam wegen der Gefäßfehlbildung zu Professor Dr. Loose an die Klinik Dr. Guth in Hamburg. Der Gefäßspezialist und der Unfallchirurg und Orthopäde Dr. Hauert behandelten dort bereits einige Patienten mit vergleichbaren Beschwerden und hatten diese schon als eigene charakteristische Erkrankung erkannt und beschrieben, bekannt unter dem Namen „Hauert Disease“. Für Daniel ein Glücksfall, und inzwischen kann er endlich auch Fußball spielen.

Zu den vielfältigen Beschwerden einer Angeborenen Gefäßfehlbildung können manchmal schon im Kinder- und Jugendalter Gelenkschäden an Knien und Hüften auftreten und zu Schmerzen und massiven Bewegungseinschränkungen führen. Diese Gelenkschäden werden häufig erfolglos als Rheuma oder Gelenkverschleiß diagnostiziert behandelt. Das spezialisierte Therapiekonzept vermindert die Schmerzen und verbessert die Beweglichkeit deutlich. Während ihrer Zusammenarbeit an der Klinik Dr. Guth beobachteten Prof. Dr. Loose und Dr. Hauert in 15 Jahren immer wieder bei Patienten Angiodysplasien mit Gelenkschäden. Eine Auswertung ergab, dass das etwa jeden vierten Patienten der bereits als „Seltene Erkrankung“ eingestuften Gefäßfehlbildung betrifft. Bei 60 von etwa 1.300 Patienten waren deutliche Veränderungen der großen Gelenke erkennbar und damit eine eigene Erkrankung, Hauert Disease.

Über Ursache und Verlauf der Erkrankung ist bisher nur wenig bekannt. Dr. Hauert und Prof. Loose beschrieben sie aber genau und konnten die gezielte Behandlung verbessern. Die empfohlene Therapie betrifft nicht nur das Gefäßsystem sondern auch die typischen Gelenkveränderungen. Ziel ist es, die Zerstörung der Gelenke aufzuhalten. Die verbesserte Funktion der Gelenke und die Abnahme der Schmerzbelastung, spüren die Patienten jedoch auch im unmittelbaren Alltag.

Destruktive, angiodysplastische Arthritis – „Hauert Disease” Gelenkdestruktion bei Patienten mit angeborenen Gefäßfehlern

(D.A. Loose)

EINLEITUNG

Angeborene Gefäßerkrankungen (Hämangiome und Gefäßfehler = Angiodysplasien) treten mit einer Häufigkeit von etwa 1,2% auf. Die Patienten, die an angeborenen Gefäßfehlern leiden, weisen auffallend häufig orthopädische Krankheitsbilder auf, wie die im Folgenden aufgeführte destruktive Arthritis. Die überwiegende Zahl der Veröffentlichungen über orthopädische Krankheitsbilder bei Gefäßfehlbildungen beschreibt das Auftreten von Beinlängendifferenzen und deren Therapie. Es werden gefäßchirurgische, interventionell-radiologische sowie orthopädisch-chirurgische Therapieoptionen angewendet. Eine weitere therapeutische Option ist die offene Resektion. Im Rahmen einer Analyse unseres Patientenkollektives konnte eine spezifische Gelenkerkrankung (Destruktive, angiodysplastische Arthritis – „Hauert Disease“) definiert werden, welche bei Patienten mit angeborenem Gefäßfehler auftritt, und es wurde die Symptomatik bestimmt.

MATERIAL UND METHODEN

In einer retrospektiven Studie wurden Daten von Patienten ausgewertet, die Prof. Dr. Loose im Rahmen seiner gefäßchirurgischen Tätigkeit in mehr als 38 Jahren behandelt hat. Bei den Verlaufsbeobachtungen von 2300 Patienten mit angeborenen Gefäßfehlern fiel auf, dass 25% orthopädische Pathologien aufwiesen. Bei 16% der Patienten wurde eine Beinlängendifferenz, bei 4% der Patienten Kontrakturen, bei 4,5% der Patienten Gelenkbeteiligungen der unteren Extremität und bei 0,5% der Patienten Osteolysen nachgewiesen. Von den 103 Patienten mit einer Gelenkbeteiligung hatten 81% Kniepathologien, gefolgt von Veränderungen des Sprunggelenks in 10,5% und des Hüftgelenkes in 8,5% . Auf der Basis von klinischen und bildgebenden Kriterien wurde eine graduierte Einteilung der Gelenkpathologien mit entsprechendem Therapiealgorithmus erarbeitet (s. Tab. 1):

 

Stadium 1

Stadium 2

Stadium 3

Klinische Symptome

Keine/wenig Schmerzen, Gelenkschwellung, keine Bewegungseinschränkung

Wenig bis starke Schmerzen,

fortgeschrittene Bewegungseinschränkung

Wenig bis starke Schmerzen,

Deutliche Bewegungseinschränkung

Radiologische Diagnostik

: keine Veränderungen

MRT: Infiltrative Gefäßfehler

: frühe destruktive Veränderungen

MRT: zusätzliche Gefäßfehler in betroffenen Gelenken

: fortgeschrittene destruktive Veränderungen

MRT: zusätzliche Gefäßfehler in betroffenen Gelenken

Orthopädisch-chirurgischer Therapieansatz

Transarthroskopische Resektion

Transarthroskopische oder offene Resektion,

mit/ohne Quengelschiene

Transarthroskopische oder

offene Resektion, mit/ohne Quengelschiene, Gelenkersatz

Tab. 1: „Hauert Disease“: diagnostischer und therapeutischer Algorithmus

ERGEBNISSE:

Stadien-orientierte Fallbeispiele Im Folgenden werden die typischen Beschwerden bei destruktiver, angiodysplastischer Arthritis („Hauert Disease“) nach Stadien vorgestellt.
Die destruktive, angiodysplastische Arthritis unterscheidet sich wesentlich von anderen Gelenkerkrankungen. Die Zerstörung des ortsständigen Gewebes (Knorpel, Menisci, Kapsel-Bandstrukturen) tritt altersunabhängig auf. Sie kann langsam fortschreiten oder äußerst schnell mit ausgeprägter Beschwerdesymptomatik und Bewegungseinschränkung auftreten. Ätiologisch können drei pathogenetische Faktoren diskutiert werden: (1) mechanisch betrachtet, ausgelöst durch das infiltrativ-destruierende Wachstum der Gefäßfehler, in Form einer chronischen Reizung des betroffenen Gelenkes, (2) durch eine Texturstörung des betroffenen Gewebes, der Gefäße und der Gelenksubstanz (Knorpel, Knochen, Bänder und Menisci), und (3) durch mutmaßlich rezidivierende Einblutungen in das Gelenk, v.a. bei intraartikulären Gefäßinfiltrationen (Abb. 1).

Abb. 1: Arthroskopisches Bild: a, b: Kniegelenk, c: histologischer Aspekt.
a) Gefäßfehler intraartikulär (Pfeil), b) femorales Gleitlager mit typischen synovialen Überwucherungen, c) Meniskus (Pfeil), Gefäß (Pfeilkopf) (HE, 25x)

Destruktive, angiodysplastische Arthritis – „Hauert Disease“ – Stadium 1
Das Frühstadium des Hauert Disease ist gekennzeichnet durch eine milde Beschwerdesymptomatik (Schwellung/ geringgradige Bewegungseinschränkung) sowie einen altersentsprechenden Röntgenbefund der Gelenkstrukturen. Diagnostisch wegweisend ist der Nachweis von intraartikulären Gefäßfehlern in der Kernspintomographie. Bei unseren Patienten konnte durch arthroskopische Exzision bzw. Koagulation ein gutes Ergebnis ohne Nachweis von intraartikulären Destruktionen erzielt werden. In einigen Fällen wurden extraartikuläre dysplastische Gefäßkonvolute zusätzlich gefäßchirurgisch extirpiert.

Fallbeispiel Stadium 1:
4-jähriger Junge mit destruktiver, angiodysplastischer Arthrtritis im Stadium 1. Präoperativ imponierte eine reduzierte Aktivität sowie eine zunehmende Schwellung des Kniegelenkes. Eine Bewegungseinschränkung lag nicht vor. Die Beschwerdesymptomatik wurde auswärtig auf folgende Erkrankungen zurückgeführt: Poly-villonoduläre Synovialitis, Borreliose, M. Perthes sowie „Rheuma“. Nach einer von uns durchgeführten arthroskopischen Koagulation intraartikulärer Gefäßfehler sowie der zusätzlich gefäßchirurgischen Resektion von extraartikulären Gefäßfehlern war der Patient 7 Jahre postoperativ beschwerdefrei, und zwar bei vollem Bewegungsumfang.

Abb. 2: Knie des 4-jährigen Jungen mit Gelenkschwellung und Funktionseinbuße. In der Nachuntersuchung 7 Jahre postoperativ beschwerdefrei.
a) MRT: subpatellarer Gefäßfehler, b) infiltrierender Gefäßfehler im arthroskopischen Bild.

Destruktive, angiodysplastische Arthritis – „Hauert Disease“ – Stadium 2 In diesem Stadium sind die klinischen Symptome, im Vergleich zum Stadium 1, ausgeprägter, die fortgeschrittene Bewegungseinschränkung ist klinisch führend. Nativradiologisch sind beginnende knöcherne Destruktionen sowie indirekte Zeichen (Gelenkspaltverschmälerung, Zystenbildung) erkennbar. Kernspintomographisch wird das Ausmaß der Beteiligung des ortsständigen Gewebes beurteilt. Therapeutisch ist ein arthroskopisches Vorgehen empfehlenswert. Bei ausgeprägter Bewegungseinschränkung (Beugedefizit über 60°) oder in Revisionsfällen kann ein offenes Vorgehen indiziert sein. Bei residuellem Streckdefizit über 20° ist eine redressierende Orthese (Quengelschiene) notwendig. Damit konnte ein gutes Ergebnis mit gering-progredienten Destruktionen bei der Nachuntersuchung festgestellt werden.

Destruktive, angiodysplastische Arthritis – „Hauert Disease“ – Stadium 3 Stadium 3 ist gekennzeichnet durch fortgeschrittene Destruktionen im Nativröntgenbild sowie durch Arthralgien mit Bewegungseinschränkung. Die Verläufe sind z. T. stark fortschreitend, so dass bereits im Kindes- und Jugendalter massiv destruktiv veränderte Gelenke zu beobachten sind. Trotz fortgeschrittener Gelenkdestruktionen konnte erstaunlicherweise allein durch ein arthroskopisches Vorgehen in 14 Fällen ein zufriedenstellendes Ergebnis erzielt werden. Weitere Therapieoption ist der endoprothetische Ersatz. Aufgrund der ausgedehnten Gefäßfehler waren modifizierte Operationstechniken in interdisziplinärer Zusammenarbeit mit dem Gefäßchirurgen notwendig. Bei ausgedehnten poplitealen Herden mit Kapselinfiltration wurde bei der Prothesenimplantation eine knöcherne Spange am dorsalen Tibiaplateau belassen, um eine Protektion gegen iatrogene Gefäßverletzungen zu haben.

DISKUSSION

Gelenkdestruktionen treten häufig bei Patienten mit Gefäßfehlern auf. Sie sind häufig verlaufsprogredient und altersunabhängig. Die klinischen Symptome werden fälschlicherweise oft nur dem Gefäßfehler zugeordnet. Eine Diagnostik mittels MRT zur frühzeitigen Diagnosestellung ist daher unabdingbar, um mit Hilfe spezieller orthopädisch-gefäßchirurgischer Therapien das Fortschreiten der Destruktionen zu verhindern. Ist der Zusammenhang zwischen Gefäßfehler und destruktiver Arthritis (Hauert Disease) unbekannt, so ist eine Fehlinterpretation vorgezeichnet. So findet sich beispielsweise bei rückschauender Durchsicht eine breite Vielfalt von Fehldiagnosen: sero-negatives Rheuma, juvenile idiopathische Oligoarthritis, poly-villonoduläre Synovialitis, Blutergelenk, Borreliose, M. Perthes, Schmerz bei Gefäßfehler, Arthrose, Gelenkempyem, Coxitis fugax, Osteochondrosis dissecans. Entsprechend unbegründet waren die Therapien. Diese variieren von der Gabe von Antibiotika, Indometacin, Gold, Chloroquin bis hin zur Verabreichung von Resochin oder sogar Methotrexat. Auch Strahlentherapie oder totale Synovektomien wurden durchgeführt. In zwei Fällen wurde den jungen Patienten als alleinige Therapie ein Rollstuhl verordnet.

Folgende pathogenetische Faktoren zur Entstehung der destruktiven Arthritis werden diskutiert: (1) eine chronische Reizung des betroffenen Gelenkes durch die Infiltration von fehlgebildeten Gefäßen, (2) Texturstörungen des Gewebes und (3) rezidivierende Einblutungen in das Gelenk. Letztere scheinen jedoch nicht grundsätzlich eine notwendige Voraussetzung für die Entstehung von Destruktionen zu sein, da solche Destruktionen auch „fernab“ von den Gefäßschäden entstehen können.

Unsere Ergebnisse zeigen, dass die destruktive, angiodysplastische Arthritis – Hauert Disease – ein eigenständiges Krankheitsbild darstellt und sich in Ätiologie, im klinischen Erscheinungsbild sowie der orthopädisch-gefäßchirurgischen Therapie von anderen Gelenkpathologien deutlich unterscheidet. Auf Grund der hohen Rate an Fehldiagnosen und an falschen Therapieansätzen ist sowohl bei der Diagnostik als auch bei den operativen Interventionen ein interdisziplinäres Vorgehen mit Orthopäden, Gefäßchirurgen und Radiologen zu fordern. Es sollte nur in spezialisierten Zentren erfolgen.

Da es sich um ein eigenständiges Krankheitsbild handelt, empfehlen wir ein stadienadaptiertes Vorgehen entsprechend unserer Klassifikation der destruktiven, angiodysplastischen Arthritis – Hauert Disease. Wir raten zu einem arthroskopischen Vorgehen, da im Gegensatz zu degenerativen Erkrankungen auch in fortgeschrittenen Stadien ein gutes Langzeitergebnis erzielt werden kann.

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