Katrin saß in ihrem Bett und versuchte diese vermaledeiten Stricknadeln unter Kontrolle zu bekommen. Schwester Heike hatte sie ihr geschenkt, zusammen mit mehreren Knäulen bunter Wolle. Sie meinte, ein Mädchen müsse stricken können.
Katrin fand das ziemlich doof, denn egal wie sehr sie sich bemühte, die Stricknadeln hatten ein Eigenleben.

Eigentlich wollte sie sich einen schönen Schal stricken. Das kann ja nicht so schwer sein, aber nun nach fast 3 Wochen schwerster Arbeit sah man, dass der Schal am unteren Ende, an dem sie begonnen hatte, fast doppelt so breit war als an der Stelle, die sie im Moment gerade bearbeitete. Sie warf das Ganze gegen die Wand. Der dazugehörige Wutausbruch hatte wohl Schwester Heike  im Schwesternzimmer alarmiert, denn sie schaute  just in diesem Moment mit ihrem weißen, gestärkten Häubchen durch die Tür. “Na? keine Lust mehr?”, “Nein!”, sagte  Katrin,  “Diese blöden Nadeln gehorchen mir nicht!”.

Schwester Heike seufzte, setzte sich zu Katrin auf das Bett und nahm sich den Schal vor. “Gut, ein Schal wird das wohl nicht mehr. Aber was hältst du davon, wenn wir damit deine Puppe anziehen?”. Katrin sah sie fragend an. Heike nahm die Wolle, beendete die aktuelle Zeile und mit ein paar geschickten Handgriffen machte sie aus dem misslungenen Schal einen wunderschönen Anzug für Katrins Baby-Puppe.

Die Puppe war Katrins einzige Zimmergenossin. Seit fast 4 Monaten war Katrin nun schon hier auf der Säuglingsstation der Orthopädischen Klinik. Sie wusste nicht, warum es keine anderen Kinder in ihrem Alter auf dieser Station gab. Sowieso hasste sie dieses ganze Krankenhaus. Ihre Mutter kam sie zwar alle 2 Wochen am Sonntag besuchen, aber was waren schon 2 Stunden gegen diese ständige Langeweile?
Man wollte irgendwas an ihrem Knie operieren. Sie hatte nur so viel verstanden, dass man versuchen wollte, ihr Bein dazu zu bringen nicht mehr so schnell zu wachsen. Bereits jetzt war das linke Bein 4 cm länger als das rechte. Auch der Fuß brauchte einen größeren Schuh als der andere. Katrin störte das eigentlich nicht. Dieses hässliche Bein existierte für sie sowieso nicht.
Aber sie wurde ja nicht gefragt.

Zwei Mal in der Woche kam morgens ein Arzt zu ihr, der sie in einen Rollstuhl setzte und in die nahe gelegene Universität fuhr. Katrin hasste das. In dem Hörsaal war es kalt und niemand schien sie wahrzunehmen. Als ob sie nur aus ihrem Bein bestehen würde, wurde sie von den Studenten angestarrt. Sie saß in ihrem Unterhöschen auf dem Tisch des Hörsaales und versuchte irgendwie diese eine Stunde zu überstehen.
“Bitte beachten Sie die ausgeprägte Hypertonie der linken unteren Extremität der Patientin. Jedoch anders als bei einer Lymphdrüsen-Fehlfunktion fehlt die typische Dellenbildung.”

Der Professor kam von seinem Pult und drückte mit seinen kalten Fingern in Katrins Oberschenkel. Die Stelle wurde weiß, aber es blieb keine Delle. “Wenn Sie nun bitte nach vorn kommen würden”, fuhr er fort, “können Sie sich selbst an der Patientin davon überzeugen”. 50 Studenten standen von ihren Plätzen auf und drückten auf Katrins Bein herum. Sie umklammerte ihre Puppe und hoffte nur, dass wenigstens ein paar von ihnen warme Hände hätten. Niemand sprach mit ihr oder schaute ihr auch nur ins Gesicht. Sie war einfach nur die Patientin mit dem Morbus-Klippel-Trenaunay-Syndrom, dieses äußerst seltene Exemplar.
“Die betroffenen Extremitäten weisen eine signifikant höhere Temperatur auf als die gesunden.” Und wieder griffen 100 Hände nach ihr. Jeder wollte testen, ob der Professor Recht hatte.
“Diese Kinder haben eine recht geringe Lebenserwartung. Selten erreichen sie das 18. Lebensjahr.” Hallo? Sie war hier! Sie hatte ein schlimmes Bein, aber sie war nicht taub.

Katrin wollte aufspringen und schreien, toben, irgendetwas kaputt machen. Aber sie saß nur da und klammerte sich an ihre Puppe. Niemand bemerkte ihr Zittern. Sie wusste selbst nicht, ob vor Kälte oder Wut.

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